Meine bescheidene Anzahl an Volkwirtschaftsvorlesungen ist schon etwas länger her. Interessiert habe ich mich dafür aber schon immer. Jetzt ist die Schwelle zur Krise durch das Corona-Virus überschritten und die wirtschaftlichen Verwerfungen zeigen sich. Was können wir gegen die sich formende Wirtschaftskrise tun? Ich habe den Mut zum eigenen Vorschlag: The Big Freeze.
Die Lage
Das Covid-19 Virus hat uns in eine außerordentliche Lage gebracht. Der große Lock-Down ist da. Das öffentliche Leben kommt zum Erliegen. Dies dient der Eindämmung des Virus. Wann das überstanden sein wird, weiß niemand. Mir geht es hier aber um die „Sekundärwirkungen“, also die daraus folgenden wirtschaftlichen Wirkungen und Folgen. Es gibt Stimmen die sagen, Covid-19 ist der „Schwarze Schwan“, der nun beschleunigt die wirtschaftlichen Verwerfungen zu Tage bringt, die wohl irgendwann ehedem zutage getreten wären. Schwarze Schwäne kommen immer überraschend, das zeigt die Geschichte. Ob der Schwarze Schwan „Covid-19“ heißt oder „Franz Ferdinand Carl Ludwig Joseph Maria von Österreich-Este“ ist fast egal, auf jeden Fall dient er als „Trigger“ Event für spürbare Umwälzungen, wenn nicht sogar zum „System Change“.
Spätestens seit ca. 2009 haben wir in der EU einen Leitzins von max. etwa 1%. Seit 2016 gibt es praktisch keinen Leitzins mehr.
Aufgrund des billigen Geldes gibt es jede Menge „Zombie-Unternehmen“, die eigentlich unrentabel sind und nur noch existieren, weil man sich so billig Geld leihen kann. Das lähmt realwirtschaftliche Neuausrichtungen und Anpassungsprozesse und hat uns praktisch schon jahrelang in eine Art milden „Freeze“-Zustand versetzt – merkten wir nur gar nicht so sehr – es blieb ja immer alles beim gewohnten „Alten“. Weitere Folgen sind wenig Festzinsen für die Altersversorgung usw. usf. Aber wir wollen diese ganzen Folgen des nun schon eine Dekade anhaltenden Geldsozialismus hier gar nicht aufarbeiten. Jetzt geht es erstmal darum, was wir in der aktuellen Extremsituation machen können.
Die Unbedingtheit des Finanzsystems
Der Ökonom spricht im Rahmen des Produktionsprozesses von Produktionsfaktoren. Das Ganze ist sehr abstrakt und reduziert werden die zur Produktion von Leistungen notwendigen Produktionsfaktoren in der Volkswirtschaftslehre meist auf die zwei Produktionsfaktoren „Arbeit“ und „(Sach)Kapital“. Der Produktionsfaktor „Arbeit“ entspricht den zu entlohnenden Mitarbeitern und das (Sach)kapital muss entlohnt werden durch Zinsen, Pachten, Mieten und Lizenzen.
Was passiert nun, wenn es zur Krise kommt? Welche Instrumente werden sofort „gezückt“ von der Regierung? Zwei wichtige Instrumente sind erstens die Kurzarbeit und zweitens Überbrückungskredite.
Ich finde dabei folgende Beobachtung interessant:
Kurzarbeit betrifft den Produktionsfaktor „Arbeit“ und führt trotz Kurzarbeitergeld letztlich auch zum Kurzlohn. Dies bedeutet im Ergebnis, dass Mitarbeiter temporär weniger bezahlt werden. Das macht Sinn. Man kürzt einfach die Entlohnung und spart dadurch Kosten.
Die Entlohnung des (Sach)kapitals scheint keine „Kurzarbeit“ zu kennen. Es ist üblich, den Kapitaldienst ungekürzt zu bedienen. Stattdessen sollen die Unternehmen lieber Überbrückungskredite aufnehmen, um damit den vollen Kapitaldienst zu leisten. Gekürzt wird aber nichts, zumindest nicht ohne Insolvenz und das wäre eine Art „Game-Over“ Zustand, der für Kurzarbeit sicher nicht charakteristisch ist. Dies ist meines Erachtens ein bemerkenswerter Unterschied zwischen diesen beiden Produktionsfaktoren. Der Produktionsfaktor (Sach)kapital ist sozusagen unbedingt, während der Produktionsfaktor Arbeit bedingt behandelt werden kann. Ich stelle dies zunächst einfach nur fest. Es soll keine Überleitung zu sozialistischen Argumenten vorbereitet werden etwa im Duktus einer etwaig „ungerechten“ Zuvorbehandlung „Kapital vor Arbeit“.
Dennoch kann man das für Bedenkenswert halten, denn machen wir uns eines klar: Wenn ein Industriebetrieb keine Rohstoffe mehr bekommt oder weniger als er bräuchte, dann schränkt das die Produktion ein. Wir brauchen darüber nicht zu diskutieren, denn es macht keinen Sinn, gegen die Physik und die Ingenieurswissenschaft zu diskutieren. Es handelt sich um eine natürliche Knappheitseigenschaft. Anders als in der Geldwirtschaft: Geld ist ein menschliches Konstrukt. Es gibt keine Knappheit, was Geld angeht. Früher gab es die Bindung von Geld an Edelmetalle. Die Goldbindung gibt es seit Anfang der Siebzigerjahre aber nicht mehr (Aufgabe des Bretton-Woods-Abkommens durch US-Präsident Richard Nixon). Geld ist also eine „Kopfgeburt“, viel weniger verwurzelt in der naturgegebenen Knappheitsorientierung der Physik.
Dennoch: Der Kapitaldienst soll unbedingt bedient werden, es gibt das Instrument des „Kurzkapitals“ nicht (analog zur Kurzarbeit). Auf der anderen Seite ist die Konstruiertheit und Künstlichkeit des Geldes aber trotzdem allgegenwärtig: „Whatever it takes“ kennen wir noch von Draghi: Gelderzeugen durch Federstrich oder moderner: durch Computerbits (des Bankensystems). Das mutet Schizophren an: Der Nicht-Bankensektor wird unbedingt zur Erfüllung des Kapitaldienstes angehalten, der Bankensektor erzeugt Geld aber durch „Federstrich“ ohne die Physik der Knappheit und ohne natürliche Grenzen anerkennen zu müssen. Wer argumentiert, die Mindestreserve sei wie eine natürliche Knappheit, der täuscht sich wohl eher selbst. Wenn es darauf ankommt wird das alles nicht zählen und alle diese Regeln (auch betreffend das Eigenkapital der Banken im Rahmen von Basel x) wird auf dem Weg zum politischen Basar über den Haufen geworfen werden.
Sinn und Unsinn von immer mehr Krediten
Wenn einem Unternehmen nun in der Krise das Wasser bis zum Hals steht, sollen noch mehr Kredite helfen. Viele Unternehmen (gerade die „Old-Economy“ Unternehmen mit geringer Rendite) haben ehedem schon viel billiges Geld als Darlehen in den Bilanzen und sind eigentlich „Zombie“-Unternehmen. In der Krise kann selbst dieses billige Geld nicht bedient werden und um doch bedienen zu können sollen dann noch mehr billigere Darlehen helfen. Kann das aufgehen? Mir kommt das wie folgt vor: Es gab jetzt eine Dekade billige Zinsen, viel zu billige. Unrentable Unternehmen konnten sich damit „vollsaugen“. Jetzt braucht es noch mehr von der billigen Droge. Es kommt mir vor wie der gute Rat: Nach dem rauschenden Fest (mit 3 Promille oder mehr), kommt der Kater und der Arzt sagt: die beste Therapie ist jetzt ein Konterbier, am besten gleich ein ganzer Kasten. Es mag Leute geben, die das mögen. Normal ist das wohl nicht.
Was ist die Gefahr?
Weitere billige Kredite erhöhen die Geldmenge. Trotzdem werden die Unternehmen und Bürger zurückhaltend sein und ihre Ausgaben rationieren. Das könnte trotz höherer Geldmenge dazu führen, dass Preise dennoch fallen. Das ist merkwürdig, denn es kann ja eigentlich viel mehr Geld zirkulieren. Es ist aber dennoch möglich, denn die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes wird durch die Ausgabenrationierung ausgebremst. Der Volkswirt kennt diesen Zusammenhang im Rahmen der (anerkannten) Quantitätstheorie des Geldes. Es kann auch zur Deflation von Vermögen kommen, sozusagen einem deflatorischen Schock. Solche üblen Szenarien wecken Erinnerung an die „Great Depression“ der 1930er Jahre. Der bekannte Ökonom Irving Fisher beschrieb den Prozess der Schuldendeflation in seinem Buch The Debt-Deflation Theory of Great Depressions (1933) wie folgt:
- Schuldner versuchen mit Notverkäufen (Verkäufe zu sehr niedrigen Preisen) kurzfristig zahlungsfähig zu werden.
- Die Rückzahlung von Schulden führt zu einer Verringerung der Giralgeldschöpfung der Banken und somit zu einer Verringerung der Geldmenge.
- Durch Verringerung der Geldmenge sinkt das Preisniveau.
- Durch sinkendes Preisniveau sinken die Unternehmenswerte. Die Kreditwürdigkeit der Unternehmen verringert sich was die Verlängerung bzw. Umschuldung von Krediten erschwert.
- Die Gewinne der Unternehmen sinken.
- Die Unternehmen senken die Produktion und entlassen Arbeitskräfte.
- Es entsteht ein allgemeiner Vertrauensverlust in die wirtschaftliche Lage.
- Statt zu investieren wird Geld gehortet.
- Die nominellen Zinssätze sinken zwar, aufgrund des Allgemeinen Preisverfalls erhöht sich jedoch das reale Gewicht der Zinslast.
Nun ist es so, dass in unserer modernen Zeit die Geldmenge durch die EZB schneller wieder erhöht werden kann als in den 1930er Jahren, aber dies ggfs. nur um den Preis weiterer Verschuldung der Unternehmen mit (noch) billigerem Geld. Das Pulver der EZB für weitere Zinssenkungen ist aber eigentlich schon jahrelang „verschossen“.
Soweit sich die Situation irgendwann wieder normalisieren sollte und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sich wieder erhöht ist dann womöglich durch die umfangreiche billige Kreditierung zu viel Geldmenge im Umlauf und es kommt zu einer überbordenden Inflation. Niemand weiß was passiert, außer dass es dann wohl volatil wird.
Was ist der Big Freeze?
Kommen wir doch jetzt zum eigentlichen Thema. Was für Maßnahmen kann man sich denn noch vorstellen? Dies ist mein Beitrag und Vorschlag zur Krisenbewältigung. Perfekt ist das bestimmt nicht. Es ist aber wichtig, dass wir in einer solchen Situation wie der aktuellen uns in „Thinking outside the box“ üben, um den Raum der Lösungsmöglichkeiten zu erkunden.
Beginnen wir mit einem Blick in die (mythische?) Vergangenheit. In der Bibel wird im 3. Buche Mose 25, 8-55 von einem „Erlassjahr“ gesprochen (auch: Jubeljahr). „Du sollst sieben Sabbatjahre, siebenmal sieben Jahre, zählen; die Zeit von sieben Sabbatjahren ergibt für dich neunundvierzig Jahre. Im siebten Monat, am zehnten Tag des Monats, sollst du das schallende Horn ertönen lassen; am Versöhnungstag sollt ihr das Horn im ganzen Land ertönen lassen. … “. Die Bibel beschreibt umfangreiche Maßnahmen für diesen 50-Jahreszyklus, auch die Erlassung der Schulden und vieles mehr. Es lohnt sich den Passus in der Bibel mal durchzulesen. Vielleicht ist das ja etwas für (gelangweilte oder genervte) Home-Office-Insassen. Zeit für Besinnung ist in Zeiten der Covid-19 Krise möglicherweise gar keine so schlechte Idee. Nehmen wir mal das Ende des zweiten Weltkriegs als „0-Linie“, dann ist das Jubeljahr wohl zeitlich überfällig.
Ich denke, das dient im Sinne der modernen Wirtschaftswissenschaft aber erstmal nur als Anekdote. Und die Erlassung aller Schulden (heute würde man sagen: Schuldenschnitt) wäre eine zu extreme Maßnahme.
Was ist nun der „Big Freeze“? Der Gedanke ist, dass sich in der Krise nun die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes verringert und dadurch Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen können, weil ihnen der Umsatz fehlt. Alles wird zäher und langsamer. Die Realwirtschaft friert gewissermaßen ein.
Jetzt muss analog die Kreditwirtschaft auch eingefroren werden- das ist der „Big Freeze“ – bis sich die Lage normalisiert hat. Im Ergebnis ist der „Big Freeze“ eine temporäre Stundung von Kredittilgungen im großen Maßstab. Letztlich rekurriert der Produktionsfaktor (Sach)kapital immer auf Kredit. Wenn ein Unternehmen z.B. ein Gebäude errichtet und dieses über ein Darlehen finanziert, dann ist das unmittelbar ersichtlich. Aber auch wenn man ein Gebäude mietet, dann muss letztlich in aller Regel ein Kredit bedient werden. Auch wenn der Mieter den Kredit nicht direkt bedient, muss es der Vermieter tun mit den Einnahmen aus der Miete. Letztlich sind alle Geldbeträge aus einem Kreditverhältnis entstanden (Geldschöpfung durch Kredit).
Der Big Freeze muss nun geregelt werden. Wann darf welcher Schuldner welche Tilgung in den Stundungsmodus bringen? Und wann darf welcher Mieter oder Pächter in welcher Höhe die Miet- oder Pachtzahlungen verringern? Und was machen die Banken, wenn die Tilgungen ausgesetzt werden? Ein Maßnahmenpaket könnte wie folgt aussehen, sobald der „Big Freeze“ ausgerufen wird. Natürlich sollen die Regelungen des „Big Freeze“ nur temporär wirken, z.B. bis der „Lock Down“ sich wieder lichtet. Wenn der „Big Freeze“ Modus von der Regierung wieder aufgehoben wird, ist erstmal wieder alles „beim Alten“ was den Kapitaldienst angeht.
- Immer wenn ein Kreditnehmer die Tilgung (gemäß „Big Freeze“ Regelung rechtmäßig) aussetzt, springt die Zentralbank für die Rückzahlung der Tilgung ein (ggfs. mit einem gewissen Abschlag, da die Geschäftsbank immer auch ein Risiko des Kreditausfalls trägt und dieses bei der Rückzahlung durch die Zentralbank pauschaliert berücksichtigt wird).
- Wenn der Kreditnehmer die Tilgung aussetzt wird eine entsprechende Grundschuld zu Gunsten der Zentralbank eingetragen.
- Der Kreditnehmer kann nur die Tilgung aussetzen, nicht die Zinsen.
- Der Kreditnehmer kann die Tilgung nur aussetzen, wenn er nicht die volle Miete von dem Mieter oder Pächter erhält.
- Der Mieter kann die Miet- oder Pachtzahlungen nur kürzen, wenn er auch bei den anderen Produktionsfaktoren Sparmaßnahmen ergreift. Wenn er also bezüglich seiner Belegschaft Kurzarbeit durchführt. Die „Big Freeze“ Maßnahme des Mieters (betreffend Produktionsfaktor (Sach)kapital) wird an Maßnahmen betreffend den Produktionsfaktor Arbeit gekoppelt, damit keine willkürlichen Miet- oder Pachtkürzungen passieren.
- Die Miete oder Pacht kann maximal gekürzt werden auf den Betrag der Abschreibung plus die Zinsen des Vermieters. Der Vermieter hat dann aus dem vermieteten Gegenstand einen „Nullgewinn“, weil sich Abschreibungen plus Zinsen und gekürzte Miete in der GuV des Vermieters aufheben.
- Wenn das vermietete Objekt bereits aus der Abschreibungsdauer heraus ist, wird eine kalkulatorische Abschreibung als Untergrenze unterstellt, die ertragsteuerfrei gestellt werden muss, damit die „Rechnung“ des Vermieters auch in diesem Fall zu Null aufgeht.
- Wenn die Kreditnehmer nach dem „Big Freeze“ wieder normal tilgen müssen, dann gehen die Tilgungen zunächst an die Geschäftsbank, bis diese den Kredit voll zurückerhalten hat. Im Anschluss tilgt der Kreditnehmer letztlich an die Zentralbank für die Zeit der Aussetzung der Tilgung während des „Big Freeze“.
Es kommt während des Big Freeze zu einer Art „Kreditmoratorium“.
Das Motto ist sozusagen: „Lieber Kredite strecken, als Kredite stapeln“.
Der Vorteil ist, dass der Umfang der zusätzlichen Überbrückungskredite nicht so stark steigen muss. Wenn der „Big Freeze“ von der Regierung beendet wird, dann muss natürlich wieder wie üblich getilgt werden. Der „Big Freeze“ ist so etwas wie ein „Pause“-Knopf für unser Kreditsystem.
Was passiert nach dem Big Freeze?
Es wird eine interessante Zeit werden. Bestimmt werden verschiedene Stimmen die „Systemfrage“ stellen, ob das aktuelle Finanzsystem so weiterbestehen kann wie bisher. Die „Systemfrage“ gab es im Übrigen schon immer, auch in oder nach der „Great Depression“ in den 1930 Jahre. Es scheint nur nicht allzu bekannt zu sein. Ich meine damit nicht irgendwelche planwirtschaftlichen Systemalternativen (die uns nicht weiterbringen, denn wir müssen unsere immernoch starkte Eigeninitiative beflügeln), sondern z.B. den Chicago Plan, der darauf abzielte, dass Geschäftsbanken nicht mehr Geld „aus dem Nichts“ schöpfen können, sondern eine 100%-Mindestreserve benötigen. Die liberalen Schweizer haben übrigens in jüngerer Vergangenheit über so etwas ähnliches abgestimmt: Die Vollgeldinitiative. Das wurde aber abgelehnt.
Aber eines weiß der Volksmund auf jeden Fall schon immer: „Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht!“
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